Fortsetzung oder nicht Fortsetzung, das ist hier die Frage!

Vielleicht geht es dir ja auch so: Du hast gefühlt fünftausend Ideen für deinen Fantasy-Roman, aber hast Angst, dass du nicht alles unterbringen kannst. Und jetzt? Den Roman einfach aufteilen? Oder die Handlung eindampfen? Wann lohnt sich eine Fortsetzung?

1. Feb. 2024

Aufgeschlagenes Buch mit Ledereinband auf einer alten Karte liegend. Die Seiten sind handschriftlich beschrieben, in der Buchpfalz liegt eine mondähnliche Murmel, daneben ein Messinganhänger, der wie eine Pestmaske aussieht.

Insbesondere in der Fantasy sind Fortsetzungsreihen beliebt.
Aber was brauchst du, um deine Lesenden in eine Fortsetzung reinzuziehen?

Nicht erst seit Game of Thrones oder House of Cards hypen wir Serien. Fans des Fantasy-Genres wissen schon seit Mitte neunzehnhundert, wie viel Spaß Fortsetzungen machen: Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und sage: „Wer Die Trilogie hört, denkt höchstwahrscheinlich direkt an Der Herr der Ringe von J. R. R. Tollkien.
Besonders in der Fantasy kann ein Roman schnell mal länger werden. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir Fantasy-Schreibenden teilweise ganze Welten vorzustellen haben. Aufwändig gestaltete Landschaften, fantasievolle Kreaturen und sorgfältig geplante Magiesysteme. Ergebnis sind entweder wunderbar dicke Wälzer, die ordentlich scheppern, wenn sie einem nachts beim Lesen auf die Nase fallen, oder halt eine der mittlerweile zahlreichen Fortsetzungs-Reihen.
Wie sieht es jetzt also für deine Geschichte aus? Erst mal einen Einzelband schreiben und dann über die Fortsetzung nachdenken? Direkt eine Fortsetzungsreihe planen? Oder die mühsam geplante Welt in einem separaten Buch recyclen?

Daseinsberechtigung vs. Zerhackstückeln

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – selbst der Experimentierfreudigste hat bestimmt ein Lieblingslieferdienst, von dem er weiß, dass die Pizza dort immer schmeckt.
Genau so gehen wir in Fortsetzungen rein: Wir haben mit dem ersten Band experimentiert und ihn für gut befunden. Wir wissen jetzt, dass man in dieser Welt und mit diesen Figuren spannende Geschichten erleben kann.  Wir glauben daran, dass Band zwei genauso gut wird.

Die große Abhängigkeitsschleife

Aufgeschlagenes Buch mit Ledereinband auf einer alten Karte liegend. Die Seiten sind handschriftlich beschrieben, in der Buchpfalz liegt eine mondähnliche Murmel, daneben ein Messinganhänger, der wie eine Pestmaske aussieht.

Starke Figuren erzeugen große Emotionen

Ich glaube, es ist mittlerweile bekannt, dass gute Geschichten hauptsächlich figurengetrieben sind. Das heißt, die Handlung wird von den Entscheidungen der Protagonist:innen vorangetrieben. Sie müssen uns nicht unbedingt sympathisch sein, aber wir verstehen ihre Motivation und ihre Entscheidungen. Ihre Ziele und Sehnsüchte werden zu unseren und im besten Fall fühlen wir ihre Tiefpunkte genauso wie ihre Hoffnungen.

Große Emotionen erzeugen spannende Konflikte

Gleiches gilt lustigerweise auch für die Antagonist:innen. Wenn wir ihre Motivation sowie Boshaftigkeitskarriere nachvollziehen können, dann bietet das Reibungsfläche. Eine Konfrontation mit fliegenden Funken ist unausweichlich. Gut gegen Böse oder, was mir persönlich noch lieber ist, fragwürdig-gut gegen vielleicht-doch-nicht-ganz-so-böse. Keiner kann aus seiner Haut. Nur einer kann gewinnen.

Spannende Konflikte ziehen offene Fragen nach sich

Wenn nicht gerade ein Überheld auf den Plan tritt, der mit einem Schnipsen sämtliche Probleme fixt, werden die wenigsten Konflikte auf einen Schlag gelöst. Das bedeutet, mit jedem Teilkonflikt, der gelöst wird, treten neue Fragen auf den Plan.
Was bedeutet diese Teillösungsereignis für die Protagonist:innen? Wie müssen die Antagonist:innen jetzt umdenken? Wurden die Spielregeln verändert?

Aus offenen Fragen entstehen unerwartete Situationen

Je nachdem, wie welterschütternd dieses Ereignis ist, ergeben sich völlig neue Situationen. Hier kannst du deinen Lesenden mit neuen Leckerbissen füttern: Zeig ihnen Dinge, die sie aus der Geschichte bisher schon kennen und präsentiere ihnen, wie sie sich verändert haben.

Kleiner Spoiler: Dieser Punkt eignet sich perfekt für eine Fortsetzung!

Unerwartete Situationen verlangen nach weiteren Figuren

Die Konsequenzen bestimmt nicht nur deine Protagonist:innen und Antagonist:innen. Vielleicht kennen die Lesenden deine Nebenfiguren schon, die jetzt wieder auf den Plan treten. Aber dieser Moment eignet sich auch perfekt, um neue Figuren einzuführen. Welche Geheimnisse verbergen sie wohl? Welche liebenswerten Macken haben sie? Und was werden sie wohl zur Geschichte beitragen?

Der letzte Punkt ist der wichtigste. Wenn du deine Figur durch einen Stuhl ersetzen kannst, ohne dass es einen Unterschied macht, dann bringen sie nicht genug eigene Ambitionen mit und du kannst sie weglassen¹.

Niemand mag es, wenn das Finale zu früh kommt

Wann auch immer du einen dieser Abhängigkeitsfaktoren aus dem Spiel nimmst, ist die Schleife unterbrochen. Das kann ganz natürlich entstehen, wenn eine Geschichte endet, also der Konflikt gelöst ist und keine offenen Fragen mehr übrig sind – oder wenn diese offenen Fragen nicht ausreichen, um neue Situationen zu erschaffen. (Auch ein halboffenes Ende ist manchmal ganz nett, damit deine Leser:innen sich den Rest selbst erträumen können.)

Allerdings wird es deiner Geschichte nicht gut tun, wenn du einfach unvermittelt und ohne ersichtlichen Grund eine Figur aus dem Spiel nimmst. Insbesondere Figuren-Tode, die nicht der Geschichte dienen oder eine andere Figur voranbringen, reißen deinen Lesenden einen Bezugspunkt unter dem Hintern weg. Wenn du Pech hast, trifft es gerade ihre Lieblingsfigur und es besteht die Gefahr, dass sie das Buch weglegen.

Figurentode müssen sorgfältig vorbereitet werden.
Lieblingsfiguren zu ‚beseitigen‘ kann dich Lesende kosten!

Auch solltest du aufpassen, dass du die emotionale Bindung deiner Lesenden mit einer Figur oder einem Konflikt nicht zerstörst, indem die Figuren „out of character“ handeln. Sie sollten keine Entscheidung fällen, die willkürlich erscheint oder ihrem Charakter widerspricht. Das erzeugt ein Gefühl von Distanz, das nur schwer zu überwinden ist.

Genauso wichtig ist es, dass Ereignis und Konsequenz in direkter Beziehung zueinander stehen. Deine Lesenden erwarten einen triftigen Grund, dass deine Figur genau jetzt in genau diese Situation gerät.

Und da wir über Fortsetzungen reden: Es ist eine absolute Todsünde, einen Roman zu beenden, bevor nicht zumindest ein größerer Konflikt gelöst wurde. Wenn du im Hauptteil nicht die Erwartungen erfüllst, die du im Vorspiel mit ausführlichem Necken und Fummeln geweckt hast, gehen sie im wahrsten Sinne des Wortes unbefriedigt aus dem Roman. Und ich weiß nicht, ob sie dir dann noch vertrauen, es in der Fortsetzung besser zu machen.

Konfliktbäume statt Konflikt-ception

Bis zur Absurdität und noch viel weiter

Ich weiß nicht, ob du schon einmal einen Shōnen-Manga gelesen hast. Dort werden die Held:innen mit immer größeren Herausforderungen konfrontiert à la  „böse, böser, am bösesten, über-böse, ultra-böse, über-ultra-böse“ – du verstehst, worauf ich hinaus will. Ab einem gewissen Punkt wirkt es nur noch an den Haaren herbeigezogen.

Es ist also wichtig, einen übergeordneten Konflikt zu finden, aus dem sich mehrere untergeordnete Konflikte ergeben – und diese kannst du dann über die verschiedenen Bände deiner Fantasy-Reihe verteilen.

Mit anderen Worten: Dein Konfliktbaum braucht eine stabile Wurzel und mit jeder Situation, jeder Figur und jeder neuen Wendung wächst dem Baum ein neuer Ast, den du bis zur Spitze verfolgen kannst – und ihn dann beenden, ohne dass du dem Baum die Wurzeln nimmst.

Aufgeschlagenes Buch mit Ledereinband auf einer alten Karte liegend. Die Seiten sind handschriftlich beschrieben, in der Buchpfalz liegt eine mondähnliche Murmel, daneben ein Messinganhänger, der wie eine Pestmaske aussieht.

Tod dem Hauptkonflikt!

Denn sobald du die Wurzel kappst, stirbt der Baum. Das gilt für deine Geschichte genauso wie für die Pflanze: Ist der Hauptkonflikt tot, ist die Geschichte tot. Und dann solltest du auf keinen Fall mehr eine Fortsetzung schreiben.

Warum nicht?

Deine Lesenden sind emotional mit deinen Figuren und Konflikten verbunden. Die gleiche Emotion kann nicht durch einen völlig anderen Konflikt (und erst recht nicht durch völlig andere Figuren) ausgelöst werden. Die Lesenden verlieren ihren Bezugspunkt und ihre Nähe zur Geschichte.

Ein Beispiel: Der Manga „Bleach“: Es geht um einen Jungen, der durch die Verschwörung eines Schurken in eine paranormale Welt gezogen wird. Die Emotion: in sein altes Leben zurückkehren. Der Konflikt: der Schurke will die Welt verändern. Die Lösung: Ein letzter epischer Kampf, in dem Junge und Schurke aufeinander treffen – das klassische Gut gegen Böse, ein Kampf um Überzeugung und Überleben.

Der Schurke wird besiegt und der Konflikt gipfelt in einem bittersüßen Finale. Figurenmotivation erfüllt, Oberschurke gelegt, keine offenen Fragen. Trotzdem geht der Manga noch über 260 Wochenkapitel weiter und hat so gut wie nichts mehr mit dem originalen Konflikt zu tun. Das Gefühl, das mich etwa 420 Kapitel für die Story hatte brennen lassen, ist nie wieder aufgekommen.

Mit deinem Hauptkonflikt endet auch deine Geschichte.

Deine Fantasy-Welt auf dem absteigenden Ast

Ich sprach ja oben davon, dass die Lesenden gern in deiner Welt neue Abenteuer erleben möchten. Sie sind im ersten Teil durch unser zweifellos phänomenales Worldbuilding angeleckert worden und wollen jetzt mehr über die Welt erfahren. Aber auch hier ist Vorsicht geboten; denn so gern wir uns auch in unseren Welten verlieren, die Faszination unserer Lesenden ist begrenzt.

Faszination geheimnisvolle Welten

Unsere Reise führt uns durch immer neue Orte, die es zu erforschen gilt. Wir treffen auf noch unbekannte, wundersame Wesen, die sich uns entweder als schreckliche Gefahren entgegenstellen oder als liebenswürdige Helferlein unter die Arme greifen. Wir treffen neue, faszinierende Völker, deren Unterstützung oder Konflikte unser Abenteuer auf die eine oder andere Weise voranbringen können – was wird es wohl diesmal sein?

Deine Welt wird zur Kenntnis genommen

Wir werden mit immer mehr ellenlangen Abhandlungen über Landschaft, Gesellschaft, Politik und Ökosystemen überhäuft. Das meiste überspringen wir, weil es nicht unbedingt notwendig ist, und folgen weiter den spannenden Pfaden unserer Hauptfigur.

Allerdings dient die fantastische Welt hier noch als nettes Beiwerk, das unsere Handlung in ein passendes Setting rückt.

Deine Welt als Schlaflied

Um zu verstehen, was im Hauptkonflikt vor sich geht, müssten wir die seitenlangen Beschreibungen von Politik, Geschichte und kultureller Entwicklung eigentlich lesen. Es gibt durchaus ein Publikum für derart detaillierte Ausarbeitungen. Aber dank Reels und TikToks passt unsere Aufmerksamkeitsspanne meist auf ein Fünf-Cent-Stück – brauchst du zu lange, um von Action zu Action zu gelangen, verlierst du deine Lesenden.

Also was nu – Fortsetzung oder nicht?

Eine gelungene Fortsetzung knüpft an Figuren, Emotionen und Konflikte des ersten Bandes an, indem sie offene Fragen aufgreift und daraus natürliche Konsequenzen entstehen, die deine Lesenden mit neuen, interessanten Situationen und Figuren konfrontieren. Diese Bezugspunkte solltest du erst aus dem Spiel nehmen, wenn es absolut nötig ist.

Die Gegenspieler der Protagonist:innen sollten nicht einfach nur der nächste Schurke sein, der zufällig auf den Plan tritt: Jeder Teil deiner Fortsetzungsreihe beschäftigt sich mit einem eigenen Konflikt, der aus einem übergeordneten Konflikt hervorgeht und zieht daraus seine Daseinsberechtigung. Der übergeordnete Konflikt, und der:die Hauptantagonist:in wird erst ganz am Ende der Reihe aus der Welt geräumt.

Apropos Welt: Deine Lesenden lieben spannende Fakten und kleine Geschichten. Sie wollen mehr über Land und Leute, Wesen und Magie erfahren. Allerdings sollte dein Roman nicht zur Unterrichtsstunde ausarten; hier ist die perfekte Balance aus Info und Action zu finden – mit der Handlung im Vordergrund.

Wenn du also Plotter oder Plantser bist und eine Fortsetzungsreihe schreiben willst, ist es am praktischsten, deine Geschichte über mehrere Teile vorzuplanen, damit du deine Lesenden auf allen Ebenen an deine Reihe fesseln kannst.

Wenn du Pantser bist und das mit dem Plotten nicht so dein Ding ist, solltest du unbedingt prüfen, ob die Figuren oder offenen Fragen aus dem ersten Teil noch genug Konfliktpotenzial liefern, das deine Lesenden in eine Fortsetzung mit rüber nehmen kann.

Wenn du einfach nur für eine neue Geschichte mit anderen Figuren in deine Welt zurückkehren willst, lohnt es sich vielleicht eher, einen Spin-Off zu schreiben und deine Lesenden mit der Welt zu locken, die sie schon einmal so fasziniert hat.

¹ Frei nach Bethany Henry.

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